Sommerkurs für kids


 Für 5 Wochen gebe ich hier in Süditalien einen Sommerkurs für Kids mit dem Titel „Facciamo l'arte!“
  • Der Kurs läuft ohne Voranmeldung von Morgen zu Morgen. Jeden Tag weiss ich nicht wer und wie viele Kinder kommen. So durchmischen sich Kinder, die schon ein paar Tage dabei sind und solche die neu hinzukommen. Die einen stellen Arbeiten fertig, welche schon angefangen sind, die anderen wollen das gleiche auch machen, fangen aber erst damit an. Es ist also schwierig den Punkt zu finden wo ich etwas Neues vorstellen kann.
  • Die 4 Stunden teile ich auf in den ersten Teil konzentrierteres Malen oder Zeichnen und den zweiten Teil mit Papiermachê oder andere Bastelarbeiten. Der zweite Teil sollte also nicht zu grosse Konzentration erfordern
  • Ich habe praktisch kein Budget, muss also mit einfachsten Mitteln möglichst viel Material bieten. Übermaltes Papier, Farben selber angerührt, eigene Mischung. Das gibt viel Arbeit jeweils zum Vorbereiten, macht mir aber eigentlich Spass.
  • Ich möchte mehr noch verschiedene gestalterische Mittel vorstellen: Stempeln, Scherenschnitt, Schablonen, Collagen … Doch irgendwie fehlt mir die didaktische Erfahrung um ihnen das richtig rüber zu bringen. Collage heisst ja nicht einfach alles auf ein Blatt kleben… Auch habe ich schon immer wieder versucht die Kinder zu animieren, verschiedene Medien in einem Bild zu integrieren: Wachsmalstifte, Acrylfarben, aber irgendwie fehlt ihnen die Erfahrung, was wie funktioniert.
  • Frage: kann ich gleichzeitig experimentelle Aufgaben stellen, und sie gleichzeitig animieren, ihr Bild persönlich einzigartig und engagiert zu gestalten?


Grenzenlose Kreativität??


Mitten im Kurs habe ich nun die „bella-figura“-Schwelle geknackt! Nun sind die Kids ins regressive Verhalten zurückgefallen…
Zwölfjährige schmieren herum wie Babys, Farbe – vor allem lila – wird nicht nur aufs Papier aufgepatscht, als wollen sie die Welt in lila verwandeln…
Dazu muss ich sagen, dass jederzeit alle Farben zur Verfügung stehen. Ein Papiermaché Projekt, an welchem anfangs sehr individuell gearbeitet wurde, entartete in einer Massen-Heissleimpistolen-Orgie, in dem alles überall aufgeklebt wurde. Wobei rosarote Glitzerperlen und Muscheln (mein gesamter gesammelter Fundus) den Vorrang hatten.
Die adretten Tussis von 8-12 Jahren, welche um 9 Uhr zum Teil schon mit Lippenstift geschminkt kommen, verlassen das Schlachtfeld um 13 Uhr mit verkleckerten Beinen und lila verschmierten Haaren. Meine mehrmalige Ermahnung sich doch die Haare zu einem Pferdeschwanz zu binden wurde abgelehnt. Lila Papiermaché-Katzen mit tausend rosaroten Glitzerperlen und Bergen von lila rosarot verspritztem und verklecksten Kartonpapieren.
Es ist alles aus dem Ruder gelaufen. Nur ein paar jüngere Mädchen (6 und 7 jährige) versuchen noch konzentriert ihre Arbeit fertig zu machen. Sie sind erstaunlich selbständig und halten sich an die Materialregeln.
Die Jungs verkleben jeden Fetzen Karton zu irgendwelchen tempelartigen Gebäuden. Die Heissleim-Pistole geben sie nicht mehr aus der Hand und wenn die nicht erreichbar ist, wird alles mit Scotch (sprich Klebband) verklebt (das hält gerade mal bis zum Ausgang…) Auf mich hört keiner. Ich habe dreimal todernst ausgerufen, so gehe das nicht. Habe eine Standpauke gehalten in Christine-Italienisch, „rispetto“-Regeln aufgestellt und angedroht, dass ich so den Kurs nicht weiterführen werde…




Schluss jetzt!


Die liebe Gruppendynamik… Neun Kinder sind zuviel. Die Klebepistole ist ab jetzt tabu. „Schnell, schnell“ gibt’s nicht mehr! Lila wird verbannt…! Glitzerperlen auch. Wir greifen also zurück auf die strenge Schulmethode: Jeder an seinem Plätzchen. In der ersten Hälfte (= 2 Stunden) wird nur gemalt und zwar nach Thema. Jeder darf nur 2 Blätter brauchen. Soll sich jeder bitte schön einmal länger mit einem Bild befassen.

Angefangen hatte es ja ganz anders… Scheu und sauber („Iiih, ich will kein altes T-Shirt anziehen, da schäme ich mich…“) haben sie alle brav ihr Zeichnung produziert… 8-12 jährige:
Haus, Baum, Blume, Sonne, Himmel oben, Wiese unten – fertig.

Regressives Verhalten


Dann habe ich interveniert: Malt mal ein hässliches Bild mit hässlichen Farben. Das hatte ich nur zu einem Mädchen gesagt, dass sehr unbeteiligt und gelangweilt vor sich hin malte).
Da kam Leben in sie… Spritzen und mit den Händen schmieren (sie ist 11!) Das hat die anderen motiviert und die wollten natürlich auch. Von Farbmischungen oder Tonalitäten konnte da keine Rede mehr sein. Alles endete in einem grauen Gpantsche. So haben sie selber die Schwämmchen- und Spritztechnik entdeckt. Dann entstanden Weltalle mit Planeten wie eine ansteckende Krankheit. Und schliesslich ist der Lila-Wahn ausgebrochen – den Rest kennen wir schon…

Ist da eine Befreiung geschehen und hat das ganze einen Sinn? Und wie jetzt weiter? Grenzen setzen? Wir sollten dieser Kreativität nun eine Form geben.
Ich habe es noch nicht mit einer Imagination probiert. Das wäre ihnen vielleicht zu befremdlich. Ich traue mir das auch sprachlich noch nicht zu. Sie kennen das auch nicht. Meditative Übungen unter Italienern wäre eine Meisterleistung! Sie sind es nicht gewohnt ruhig zuzuhören…

Mir kommt da eine Idee, eine Art Gleichnis und ich werde es ihnen erzählen:
„Kreativität ist wie ein Pferd: es ist sehr scheu. Und wenn du zuviel Lärm machst, rennt es davon. Wenn es aber vertrauen gewinnt und du es reiten lernst, trägt es dich überall hin wo du willst.“

Klare Vorgaben


Die letzten Tage des Kurses sind angebrochen. Es hat sich bewährt, den Anfang streng zu halten, ein Thema vorzugeben. Auch wenn es die einen etwas schwer haben, den Einstieg zu finden, es klappt und sie arbeiten dann konzentrierter.
So habe ich den Kindern auch Bleistift und Gummi gegeben, so dass sie detailliert zeichnen können.

Didaktik


Nun tun sie sich wieder etwas schwer mit der Farbgebung. Vermehrt habe ich ihnen auch vorgezeigt, dass man verschiedene Medien (Gouache, Wachskreide, Buntstifte) mischen kann und dass man die Hintergründe mit wässriger Farbe besser ausfüllen kann. Doch scheint es den Kindern schwerzufallen die Farbe zu handhaben.
Die Farben zu mischen ist auch etwas womit sie sich schwer tun. Deshalb gab ich die Aufgabe zum Thema Dschungel, die Grüntöne selber zu mischen. Auch bekamen sie den Tipp, die Formen der Blätter und Bäume mit einem Wachsmalstift vorzuskizzieren, damit sie für die Grüntöne schon etwas Anhaltspunkte haben. Auch war die Vorgabe, dass kein weisses Papier mehr zu sehen sein sollte. Die meisten haben sich daran gehalten und es entstanden sehr schöne Bilder.
Am Naturbeispiel draussen habe ich ihnen auch gezeigt, dass der Himmel und die Erde zusammentreffen. So dass es keinen weissen Zwischenraum geben kann auf einem Landschaftsbild. Der Himmel endet dort wo die Erde anfängt. Das klingt eigentlich banal, aber sogar die zwölfjährigen malten den Himmel als blauen Streifen am oberen Bildrand…
Schwierigkeiten haben die Kids auch, die Farbmenge zu proportionieren und die richtige Konsistenz zu finden. Hierzu möchte ich auch noch Übungen machen, doch mir fällt nichts ein, was ich mit dem Thema verbinden könnte… Wasser? Fische?

Am liebsten würde ich den Kindern immer Abbildungen zeigen von Pflanzen, Tieren, Autos, Flugzeugen usw. Noch besser wären natürlich ausgestopfte Tiere, Pflanzen vor Ort, in der Natur. Doch das kann ich nicht umsetzen. Mein Kurs ist auf meinen Atelierraum beschränkt. Es wäre wichtig für die Kinder zu sehen, wie etwas genau aussieht. Schaut genauer hin! Wie ist etwas beschaffen, die Struktur, die Form, die Farbe, wie sieht sie richtig aus? Die Kids kennen das meiste nur vom Smartphone.

Ein anderes Thema, was ich vorgestellt habe sind die menschlichen Proportionen: Grössenverhältnisse des Gesichts und des Körpers. Daraufhin mussten sie ein Selbstporträt erstellen, ohne Spiegel, also sehr frei.

Was ist Kunst auch?


Wenn ich die Kinder wie in einem freien Malatelier frei malen lasse, sind die 6-7 jährigen die Künstler. Sie lassen Geschichten entstehen auf ihrem Blatt. Die Grösseren sind ziemlich hilflos. Sie experimentieren eher mit Spritzeffekten oder gängigen Symbolen (Herzen und Yin Yang).
Das hat mir eine weitere Erkenntnis darüber gegeben, was Kunst auch ist: ein Kunstwerk sollte eine Geschichte erzählen! Kinder machen das intuitiv. Die kleine Bianca (6 jährig) ist ein kostbares Beispiel. Sie schaut in den Himmel und hat plötzlich eine Idee. Dann nimmt sie die Farben oder den Bleistift und fängt an zu „erzählen“. Manchmal auch mit Kommentaren.

Therapeutisches


Was mir auffällt auf den Bildern, ist der viele leere Raum auf den Zeichnungen. Die Figuren und die Objekte schweben oft so im leeren Raum. Daher vielleicht auch die immer wieder auftauchende Weltraum-Thematik. Fühlen sich die Kids etwas verloren hier in der Gesellschaft? Ein gutes Thema dazu wäre „Wurzeln“. Vielleicht eine Pflanze mit Wurzeln abmalen lassen?







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