Sommerkurs für kids
- Der Kurs läuft ohne Voranmeldung von Morgen zu Morgen. Jeden Tag weiss ich nicht wer und wie viele Kinder kommen. So durchmischen sich Kinder, die schon ein paar Tage dabei sind und solche die neu hinzukommen. Die einen stellen Arbeiten fertig, welche schon angefangen sind, die anderen wollen das gleiche auch machen, fangen aber erst damit an. Es ist also schwierig den Punkt zu finden wo ich etwas Neues vorstellen kann.
- Die 4 Stunden teile ich auf in den ersten Teil konzentrierteres Malen oder Zeichnen und den zweiten Teil mit Papiermachê oder andere Bastelarbeiten. Der zweite Teil sollte also nicht zu grosse Konzentration erfordern
- Ich habe praktisch kein Budget, muss also mit einfachsten Mitteln möglichst viel Material bieten. Übermaltes Papier, Farben selber angerührt, eigene Mischung. Das gibt viel Arbeit jeweils zum Vorbereiten, macht mir aber eigentlich Spass.
- Ich möchte mehr noch verschiedene gestalterische Mittel vorstellen: Stempeln, Scherenschnitt, Schablonen, Collagen … Doch irgendwie fehlt mir die didaktische Erfahrung um ihnen das richtig rüber zu bringen. Collage heisst ja nicht einfach alles auf ein Blatt kleben… Auch habe ich schon immer wieder versucht die Kinder zu animieren, verschiedene Medien in einem Bild zu integrieren: Wachsmalstifte, Acrylfarben, aber irgendwie fehlt ihnen die Erfahrung, was wie funktioniert.
- Frage: kann ich gleichzeitig experimentelle Aufgaben stellen, und sie gleichzeitig animieren, ihr Bild persönlich einzigartig und engagiert zu gestalten?
Grenzenlose Kreativität??
Mitten im Kurs habe
ich nun die „bella-figura“-Schwelle geknackt! Nun sind die Kids
ins regressive Verhalten zurückgefallen…
Zwölfjährige schmieren
herum wie Babys, Farbe – vor allem lila – wird nicht nur aufs
Papier aufgepatscht, als wollen sie die Welt in lila verwandeln…
Dazu muss ich sagen, dass
jederzeit alle Farben zur Verfügung stehen. Ein Papiermaché
Projekt, an welchem anfangs sehr individuell gearbeitet wurde,
entartete in einer Massen-Heissleimpistolen-Orgie, in dem alles
überall aufgeklebt wurde. Wobei rosarote Glitzerperlen und Muscheln
(mein gesamter gesammelter Fundus) den Vorrang hatten.
Die adretten Tussis von
8-12 Jahren, welche um 9 Uhr zum Teil schon mit Lippenstift
geschminkt kommen, verlassen das Schlachtfeld um 13 Uhr mit
verkleckerten Beinen und lila verschmierten Haaren. Meine mehrmalige
Ermahnung sich doch die Haare zu einem Pferdeschwanz zu binden wurde
abgelehnt. Lila Papiermaché-Katzen mit tausend rosaroten
Glitzerperlen und Bergen von lila rosarot verspritztem und
verklecksten Kartonpapieren.
Es ist alles aus dem Ruder
gelaufen. Nur ein paar jüngere Mädchen (6 und 7 jährige) versuchen
noch konzentriert ihre Arbeit fertig zu machen. Sie sind erstaunlich
selbständig und halten sich an die Materialregeln.
Die Jungs verkleben jeden
Fetzen Karton zu irgendwelchen tempelartigen Gebäuden. Die
Heissleim-Pistole geben sie nicht mehr aus der Hand und wenn die
nicht erreichbar ist, wird alles mit Scotch (sprich Klebband)
verklebt (das hält gerade mal bis zum Ausgang…) Auf mich hört
keiner. Ich habe dreimal todernst ausgerufen, so gehe das nicht. Habe
eine Standpauke gehalten in Christine-Italienisch, „rispetto“-Regeln
aufgestellt und angedroht, dass ich so den Kurs nicht weiterführen
werde…
Schluss jetzt!
Die liebe Gruppendynamik…
Neun Kinder sind zuviel. Die Klebepistole ist ab jetzt tabu.
„Schnell, schnell“ gibt’s nicht mehr! Lila wird verbannt…!
Glitzerperlen auch. Wir greifen also zurück auf die strenge
Schulmethode: Jeder an seinem Plätzchen. In der ersten Hälfte (= 2
Stunden) wird nur gemalt und zwar nach Thema. Jeder darf nur 2
Blätter brauchen. Soll sich jeder bitte schön einmal länger mit
einem Bild befassen.
Angefangen hatte es ja
ganz anders… Scheu und sauber („Iiih, ich will kein altes T-Shirt
anziehen, da schäme ich mich…“) haben sie alle brav ihr
Zeichnung produziert… 8-12 jährige:
Haus, Baum, Blume, Sonne,
Himmel oben, Wiese unten – fertig.
Regressives Verhalten
Dann habe ich
interveniert: Malt mal ein hässliches Bild mit hässlichen Farben.
Das hatte ich nur zu einem Mädchen gesagt, dass sehr unbeteiligt und
gelangweilt vor sich hin malte).
Da kam Leben in sie…
Spritzen und mit den Händen schmieren (sie ist 11!) Das hat die
anderen motiviert und die wollten natürlich auch. Von Farbmischungen
oder Tonalitäten konnte da keine Rede mehr sein. Alles endete in
einem grauen Gpantsche. So haben sie selber die Schwämmchen- und
Spritztechnik entdeckt. Dann entstanden Weltalle mit Planeten wie
eine ansteckende Krankheit. Und schliesslich ist der Lila-Wahn
ausgebrochen – den Rest kennen wir schon…
Ist da eine Befreiung
geschehen und hat das ganze einen Sinn? Und wie jetzt weiter? Grenzen
setzen? Wir sollten dieser Kreativität nun eine Form geben.
Ich habe es noch nicht mit
einer Imagination probiert. Das wäre ihnen vielleicht zu
befremdlich. Ich traue mir das auch sprachlich noch nicht zu. Sie
kennen das auch nicht. Meditative Übungen unter Italienern wäre
eine Meisterleistung! Sie sind es nicht gewohnt ruhig zuzuhören…
Mir kommt da eine Idee,
eine Art Gleichnis und ich werde es ihnen erzählen:
„Kreativität ist wie
ein Pferd: es ist sehr scheu. Und wenn du zuviel Lärm machst, rennt
es davon. Wenn es aber vertrauen gewinnt und du es reiten lernst,
trägt es dich überall hin wo du willst.“
Klare Vorgaben
Die letzten Tage des
Kurses sind angebrochen. Es hat sich bewährt, den Anfang streng zu
halten, ein Thema vorzugeben. Auch wenn es die einen etwas schwer
haben, den Einstieg zu finden, es klappt und sie arbeiten dann
konzentrierter.
So habe ich den Kindern
auch Bleistift und Gummi gegeben, so dass sie detailliert zeichnen
können.
Didaktik
Nun tun sie sich wieder
etwas schwer mit der Farbgebung. Vermehrt habe ich ihnen auch
vorgezeigt, dass man verschiedene Medien (Gouache, Wachskreide,
Buntstifte) mischen kann und dass man die Hintergründe mit wässriger
Farbe besser ausfüllen kann. Doch scheint es den Kindern
schwerzufallen die Farbe zu handhaben.
Die Farben zu mischen ist
auch etwas womit sie sich schwer tun. Deshalb gab ich die Aufgabe zum
Thema Dschungel, die Grüntöne selber zu mischen. Auch bekamen sie
den Tipp, die Formen der Blätter und Bäume mit einem Wachsmalstift
vorzuskizzieren, damit sie für die Grüntöne schon etwas
Anhaltspunkte haben. Auch war die Vorgabe, dass kein weisses Papier
mehr zu sehen sein sollte. Die meisten haben sich daran gehalten und
es entstanden sehr schöne Bilder.
Am Naturbeispiel draussen
habe ich ihnen auch gezeigt, dass der Himmel und die Erde
zusammentreffen. So dass es keinen weissen Zwischenraum geben kann
auf einem Landschaftsbild. Der Himmel endet dort wo die Erde anfängt.
Das klingt eigentlich banal, aber sogar die zwölfjährigen malten
den Himmel als blauen Streifen am oberen Bildrand…
Schwierigkeiten haben die
Kids auch, die Farbmenge zu proportionieren und die richtige
Konsistenz zu finden. Hierzu möchte ich auch noch Übungen machen,
doch mir fällt nichts ein, was ich mit dem Thema verbinden könnte…
Wasser? Fische?
Am liebsten würde ich den
Kindern immer Abbildungen zeigen von Pflanzen, Tieren, Autos,
Flugzeugen usw. Noch besser wären natürlich ausgestopfte Tiere,
Pflanzen vor Ort, in der Natur. Doch das kann ich nicht umsetzen.
Mein Kurs ist auf meinen Atelierraum beschränkt. Es wäre wichtig
für die Kinder zu sehen, wie etwas genau aussieht. Schaut genauer
hin! Wie ist etwas beschaffen, die Struktur, die Form, die Farbe, wie
sieht sie richtig aus? Die Kids kennen das meiste nur vom Smartphone.
Ein anderes Thema, was ich
vorgestellt habe sind die menschlichen Proportionen:
Grössenverhältnisse des Gesichts und des Körpers. Daraufhin
mussten sie ein Selbstporträt erstellen, ohne Spiegel, also sehr
frei.
Was ist Kunst auch?
Wenn ich die Kinder wie in
einem freien Malatelier frei malen lasse, sind die 6-7 jährigen die
Künstler. Sie lassen Geschichten entstehen auf ihrem Blatt. Die
Grösseren sind ziemlich hilflos. Sie experimentieren eher mit
Spritzeffekten oder gängigen Symbolen (Herzen und Yin Yang).
Das hat mir eine weitere
Erkenntnis darüber gegeben, was Kunst auch ist: ein Kunstwerk sollte
eine Geschichte erzählen! Kinder machen das intuitiv. Die kleine
Bianca (6 jährig) ist ein kostbares Beispiel. Sie schaut in den
Himmel und hat plötzlich eine Idee. Dann nimmt sie die Farben oder
den Bleistift und fängt an zu „erzählen“. Manchmal auch mit
Kommentaren.
Therapeutisches
Was mir auffällt auf den
Bildern, ist der viele leere Raum auf den Zeichnungen. Die Figuren
und die Objekte schweben oft so im leeren Raum. Daher vielleicht auch
die immer wieder auftauchende Weltraum-Thematik. Fühlen sich die
Kids etwas verloren hier in der Gesellschaft? Ein gutes Thema dazu
wäre „Wurzeln“. Vielleicht eine Pflanze mit Wurzeln abmalen
lassen?
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