Boat-People
Doch die Gipspflaster
wecken auch andere Assoziationen. Ich versuche nun ein grosses Bild
ca. 100 x 80 cm auf Recyclingkarton (aus einer auseinander gefallenen
Zügelschachtel) vorzubereiten. Auf dem grossen Hintergrund möchte
ich hunderte Gesichter malen – die Boatpeople. Auf kleineren
Formaten mache ich ein paar Entwürfe.
Ich weiss, die Bilder sind
in den Medien schon fast übersättigend gezeigt worden. Doch ich
möchte jedes einzelne Gesicht zeichnen. Fast schon sarkastisch ist
es, dass ich eine auseinander gefallene Zügelschachtel als
Hintergrund verwende. Die Boat-people stranden zu Tausenden mit ihren
auseinander fallenden Booten an den Küsten Lampedusas.
Die Gipsplätzchen sind
schön übereinander lappend aufgelegt. Mir ist es wichtig, dass ich
hier geduldig und sorgfältig arbeite. Viele Gedanken gehen mir durch
den Kopf währenddessen.
Die Flüchtlinge kommen
hierher nach Europa, möchten hier Geld verdienen, es hier aber nicht
ausgeben sondern nachhause zu ihren Familien schicken. Schlecht für
den Kapitalismus...
Die „Vucumpra“ zum
Beispiel (An den Touristenstränden Souvenir verkaufende Afrikaner)
verkaufen vor allem chinesisch produzierten „Ramsch“. Warum
verkaufen sie nicht Ware, die in Afrika manuell hergestellt wurde?
Afrikaner sind kreativ.
Stimmt das? Wenn ja, könnten sie coole Sachen herstellen und als
Kunsthandwerk verkaufen, zu akzeptablen Preisen. Kunsthandwerk-Export
auf direktem Weg. Körbe, handgefertigte Batikstoffe usw. Auf dem
Markt habe ich neulich einen Stand gesehen, an dem ein Mann aus
Senegal dort handgenähte, in Afrika hergestellte Rucksäcke und
Taschen verkaufte, das war schon etwas anderes!
Man könnte doch auch
Handwerk von hier mit afrikanischem Kunsthandwerk mischen. Auch hier
nähen bzw. Sticken die Frauen noch traditionelle Lochstickereien.
Doch soviele Tischdecken und Nachthemden wie sie herstellen kann kein
Mensch brauchen. Warum nicht moderne Mode damit verzieren?
Die Boatpeople-Bilder
entstehen aus folgenden Gedanken:
Diese schon ein paarmal
bemalte Hintergründe auf Recyclingkarton, aufgepflastertem
Haushaltpapier, hat bis jetzt noch kein befriedigendes Ergebnis
gegeben. Doch ich möchte kein Material wegwerfen. Ich glaube daran,
dass es auch aus diesem etwas zu machen gibt. Ich versuche, es mit
Aquarellfarben zu einem Boatpeople-Bild zu gestalten. Der Untergrund
ist zu grob, aber perfekt für Wasser, Meer und Wellen. Für das Boot
und die darin sitzenden Menschen ist es zu grob. Also überziehe ich
diese Stellen nochmals mit Gips, worauf ich später detaillierter
zeichnen und malen kann.
Beim Auftragen dannn
wieder diese Sorgsamkeit... Es erschüttert mich immer wieder der
Gedanke, was diese Menschen durchleiden und mit welcher Hoffnung am
Rand der Verzweiflung sie eine solche Strapaze, ein solches Risiko
dieser Reise auf sich nehmen. Wieviele sterben dabei! Diese
Flüchtlingsströme sind eine Weltbewegung. Das kann man doch nicht
ignorieren.
Hier auf dem Land merke
ich fast nichts, trotz der Nähe zu Sizilien. Wieso weiss ich nur
durch die Medien davon? Wieso sehe ich nirgends oder nur selten
schwarze Menschen? Was machen sie hier, wenn sie da sind?
Wenn ich den Verstand
abschalte, sehe ich die Bilder der Flüchtlingsboote als phänomenale
Mustervorlage für Stoffdesign. Es ergibt sich Struktur über eine
Fläche, welche belebt ist von verschiedenen Farbflecken,
gleichzeitig regelmässig durchzogen von dunklen Punkten...
Stoffdesign „Boat-People“ - Pervers??
Ja, aber ist die Tatsache
nicht noch perverser, dass wir afrikanischen Ländern Waffen
exportieren und so tun, als gehen uns die Kriege dort nichts an? Oder
ist es nicht perverser, dass wir Afrika aus unserem
landwirtschaftlichen Produktionsüberschuss mit billigsten
Nahrungsmitteln überfluten, während die eigenen afrikanischen
Landwirtschaftsprodukte keine Chance mehr haben verkauft zu werden,
weil sie teurer sind, obwohl sie direkt aus der Region kommen und
ganzen Dörfern das Einkommen gesichtert hatten? Bespiel Milchpulver
oder Kartoffeln aus Holland! Das ist doch wirklich pervers!
Oder man
denke an die Fischerei: Die grossen europäischen
Mammut-Hochseefischereien fegen die afrikanischen Küsten leer,
zerstören alles Lebendige für hunderte von Jahren. Worauf sich die
einheimischen Fischer nicht mehr ihren Lebensunterhalt verdienen
können und nicht einmal ihre eigenen Familien ernähren können,
weil die Fischbestände auf weniger als einen Viertel geschrumpft
sind. Sie sind gezwungen, nach Spanien oder Frankreich auszureisen
und dort auf einem solchen Mammut-Fischfangboot anzuheuern (natürlich
zu Billigstlöhnen). Nur damit wir unseren Kindern Fischstäbli
servieren können (Fisch ist gesund!)
Exkurs:
Um noch mehr Gründe für den Welthunger zu nennen: Grosse europäische Firmen, welche grosse Wasserreserven für die Produktion ihrer Produkte beanspruchen während die einheimische Landwirtschaft von Dürrekatastrophen lahmgelegt wird...
So treibt auch der Hunger
noch immer viele in die Flucht nach Europa. Der Hunger in der Welt
besteht schon seit den 70-er Jahren und trotz allem anscheinenden
Bemühen der Menschenrechtsorganisationen ist der Welthunger noch
schlimmer geworden obwohl in Europa fast ein Viertel der Lebensmittel
in verschiedenen Stufen aus wirtschaftlichen Gründen v e r n i c h t
e t wird! Wenn das nicht pervers ist!
Das Arbeiten mit der
Gipsmasse assoziiert bei mir noch eine Erinnerung an eine
Dokumentation aus Haiti: Seit dem Erdbeben gibt es immer noch viele
Menschen, die an Armut und Hunger leiden, weil die Korruption einen
sehr grossen Teil der Hilfsgelder aufgefressen hat und sich die
Infrastrukturen kaum verbessert haben. In den Slums vor Port au
Prince backen die Frauen Kuchen aus Schlamm, um den quälenden Hunger
ihrer Kinder zu dämpfen! Man stelle sich das vor: sorgsam gesiebter
gewaschener lehmiger Schlamm wird „liebevoll“ an der Sonne
getrocknet und wird gegessen, um wenigstens etwas in den Magen zu
bekommen. Soweit sind wir gekommen, dass die einen Menschen Erde
essen müssen währed die anderen (wenigen!!) Essbares Tonnenweise
entsorgt...
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